Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, von Milan Kundera

Wenige Titel vermögen es so wie die “unerträgliche Leichtigkeit”, zum Lesen zu verführen. Aber nicht nur mit der Titelwahl gelang Kundera der große Wurf – er schuf eines der wichtigsten literarischen Werke der Achtziger Jahre.
1982 im französischen Exil verfasst und zwei Jahre später ebenda veröffentlicht, erregte der Roman bald Aufmerksamkeit und gilt bis heute als Kunderas erfolgreichstes Werk. Es spielt in der Zeit des gescheiterten Prager Frühlings – russische Soldaten hatten kurz zuvor tschechische Liberalisierungversuche gewaltsam zerschlagen. Kundera geht auf historische Ereignisse ein, verwebt sie mit der Romanhandlung und lässt seine Figuren an den Widrigkeiten einer kommunistischen Diktatur verzweifeln. Der Roman wird damit zu mehr als einer Liebesgeschichte oder einer poetischen Betrachtung menschlichen Zusammenlebens – er wird ein Manifest für Freiheit und Selbstbestimmung.

Kundera erzählt also die Geschichten zweier durch eine Affäre verbundene Liebespaare im kommunistischen Tschechien der 1960er Jahre. Durchbrochen werden diese beiden Handlungsstränge, die sich in einem kunstvollen Aufbau abwechseln, von nahezu essayistischem Nachsinnen über vielerlei philosophische, psychologische und gesellschaftliche Fragestellungen. In den ersten Kapiteln erörtert Kundera das Gegensatzpaar „leicht und schwer“. So schreibt er zum Beispiel: „Je schwerer das Gewicht, desto näher ist unser Leben der Erde, desto wirklicher und wahrer ist es. Im Gegensatz dazu bewirkt die völlige Abwesenheit von Gewicht, dass der Mensch leichter wird als Luft, dass er emporschwebt, vom irdischen Sein entfernt, dass er nur noch zur Hälfte wirklich ist und seine Bewegungen ebenso frei wie bedeutungslos sind.”
Die Sprache des Romans bewegt sich im gleichen Spannungsfeld wie sein Titel: Ertänzelt sie hier mit lyrischem Anmut die Empfindungen der Figuren, so demonstriert sie dort auf niederschmetternd nüchterne Art die Grausamkeit unerwiderter Liebe. Eine melancholische Grundstimmung aber ist allen Kapiteln (und auch allen Figuren!) gemein.
Einzigartig ist Kunderas Erzählweise. Der stets allwissende Erzähler reflektiert Psyche, Motive und Befindlichkeiten der Charaktere und präsentiert dem Leser diese Analysen auf dem Silbertablett. Kundera ist dabei Schöpfer vielschichtiger Figuren und ihrer ineinander verwobenen Geschichten – er scheint aber zugleich den Lektüreschlüssel mit eingebaut zu haben. Eine der vielen Beobachtungen des Erzählers: „Warum konnte sie in den [Emigranten] nicht rührende, verlassene Geschöpfe sehen? Die Antwort kennen wir schon: Bereits als sie ihren Vater verriet, tat sich das Leben vor ihr auf als ein langer Weg von Verrat zu Verrat, und jeder neue Verrat zog sie an wie ein Laster und wie ein Sieg. (…) Deshalb war sie so verwirrt über ihre eigene Ungerechtigkeit.“ Einerseits erfrischt diese ungewohnt durchsichtige Erzählperspektive, andererseits beraubt sie den Roman einer noch zu durchdringenden Tiefe und den Leser seiner eigenen Auseinandersetzung mit den Figuren.
Trotz allem hat Kundera ein stimmiges, vielschichtiges Werk geschaffen: die Liebesgeschichte von Theresa und Tomas, stets zwischen größtmöglicher Nähe und bitteren Enttäuschungen aufgespannt, und das philosophische Sinnieren des Autors ergänzen sich zu einem wunderbar melancholischen Lesevergnügen.

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