Am Nicht-Ort ein blauer Himmel

von Marius Werz & Titus Blome

Eines Abends lege ich mich ins Bett, decke mich nur halb zu, weil Dachgeschosswohnung, und schlafe ein. Ich wache auf. Dunkelheit, doch ich finde die Schachtel blind. Sie ist leer. Die Welt ist zwar in Ordnung, aber das nervt mich nun doch ein wenig. Es ist Wahltag, darüber mache ich mir aber gerade keinen Kopf. Muss man auch nicht mehr, seit alles gut geworden ist. Die Parteien und Menschen haben sich auf die korrekte Weise zu leben schon lange geeinigt. Das ist gut für uns und man muss sich ja nicht daran halten. Also aufstehen und ab zum Kiosk. Der Weg dorthin grün, die Luft klar. Alles ist sauber, sehr angenehm.

Ein Passant senkt auf meinen Blick hin verlegen die Augen. Ich bemerke die Cola in der einen, ein Gebäck mit Zuckerguss in der anderen Hand. Unverantwortlich, aber jedem das Seine. Der Kiosk, bargeldlos wie fast alles. Doch auch in der giralen Studentenbörse tun die 18€ weh. Zigaretten sind einfach zu schlecht für einen, um billig zu sein – der Green-Smoothie kostet 50ct. Wir haben uns ja schon seit Langem auf die gesunde Weise zu leben geeinigt. Ich runzele die Stirn und nehme dennoch die Zigaretten. Die Welt ist in Ordnung und nach zwei Kippen bin ich es auch wieder. Ein Mädchen läuft vorbei und blickt mit leicht geschürzten Lippen auf die Zigarette in meiner Hand. Ich zucke innerlich mit den Schultern. Wir haben uns schon lange auf die gute Art zu leben geeinigt. Das ist gut für uns, aber man muss sich ja nicht daran halten. Gesundes, bewusstes Leben wird ermutigt – Zigaretten kosten 18€. Es ist gut für uns, es ist gut für den Planeten. Es ist gut, das weiß man. Ich sitze noch neben dem Kiosk und sehe wie ein Mann dort die Zigaretten beäugt, das Handy checkt und seufzend nach einem Smoothie greift. Mein Handy vibriert, ich soll wählen. Drei Mal hackt mein Daumen auf den Screen, macht mein Kreuz für mich. Erledigt. Ich habe nicht hingeschaut. Mit dem Konsens, was der richtige Weg zu leben ist, wurde Politik auf gewisse Weise symbolisch, Veränderung obsolet. Wir haben uns ja schon lange geeinigt. Das ist gut so.

In Retrospektive wundert es einen eher, wieso wir so lange gebraucht haben. Anreize, ob finanziell, moralisch oder sozial, bestimmen menschliche Handlung. Wirkliche Vorschriften machen für das Privatleben von Individuen darf man nicht, sollte man nicht; doch warum nicht die Anreize richtig setzen? Warum nicht Dinge, die objektiv gut sind, belohnen? Rückblickend wundert man sich wirklich, wieso wir so lange gebraucht haben. Aber wir mussten uns ja erst auf die vernünftige Weise zu leben einigen. Das „Größere Wohl“ war nach dem 20. Jahrhundert ein gefährlicher Begriff, aber heute lässt er sich sorgenfrei verwenden. Utopie, so nennen es manche. Dann kosten Zigaretten halt mal 18€, das ist in Ordnung. Wenigstens bleibt es auch dabei. Denn wenn man sich auf den besten Weg zu leben geeinigt hat, braucht man nicht mehr viel Veränderung.

Ich wache auf. Dunkelheit, doch ich finde die Schachtel blind. Sie ist leer. Egal, eine neue kostet ja nur 6€ am Automaten, falls sich das nicht schon wieder geändert hat. Home Sweet Home – oder?