In der Literatur haben sich düstere Zukunftsaussichten durchgesetzt
Platon war wohl der erste, der seine Ideen über eine fehlerfreie Gesellschaft im größeren Stile zu Papier brachte. In Der Staat lässt der Philosoph seinen Lehrer Sokrates mit anderen Zeitgenossen über den idealen Staat diskutieren. Obwohl die Schrift mehr philosophisches (oder gar politisches) Programm denn Prosa ist, kann sie durchaus als ein Meilen- wenn nicht sogar Grundstein der utopischen Literatur gesehen werden. Seitdem haben sich zahlreiche Autoren mit der perfekten Welt beschäftigt; sei diese Vollkommenheit nun politischer, gesellschaftlicher, wissenschaftlicher oder technologischer Natur. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sind es hauptsächlich diese positiven Zukunftsentwürfe, die das Publikum begeistern. Vor allem der französische Jules Vernes, einer der Begründer der Science-Fiction, verstand sich darauf, seine Leserschaft mit „Berichten“ von Raumschiffen und Helikoptern in Atem zu halten.
In einer vom technischen Fortschritt geprägten Zeit, in der jedes Jahrzehnt bis dahin unmöglich geglaubte Innovationen hervorbrachte, war der Glaube an ebendiese neuen Technologien noch weitgehend ungebrochen. Mit der Jahrhundertwende dann, einer „sich beschleunigenden Welt […], die ins Unbekannte raste“ wie der Historiker Phillip Blom das Wesen dieser komplexen Epoche zuzuspitzen weiß, endete der Heilsglaube an die Technologien der Zukunft.
H. G. Wells schrieb noch einige Bücher im euphorischen Stil Jules Vernes, formuliert in Die Zeitmaschine (1894) aber bereits düstere Zukunftsvisionen. Mit dem neuen Jahrhundert und erst einer, dann zwei Weltkriegserfahrungen, explodierte die Zahl der literarischen Dystopien geradezu.
Ob Huxley’s Schöne Neue Welt (1932), Radburys Fahrenheit 451 (1953) oder Orwells 1984 (1948) – totalitäre Regimes samt Propagandaapparat, die ihre Bürger der Individualität und sämtlicher Freiheiten berauben sowie maximale Effizienz in Wirtschaft und Industrie sind wiederkehrende Elemente. Auf den ersten Blick wirkt die dargestellte Gesellschaft dabei oft utopisch: Kriege, Krankheiten und Armut wurden eliminiert. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, um welchen Preis.
Dystopische Romane sind dieser Tage wohl beliebter denn je. Besonders George Orwells 1984 wurde in den letzten Monaten oft zitiert; viele Leser sehen die Zukunftsvisionen des Autors auf erschreckende Weise bestätigt. (Orwell schrieb in seinem Roman von einem „Ministerium für Wahrheit“, das die Geschichtsschreibung manipuliert, um die aktuelle Regierung ins rechte Licht zu rücken.) Ist dieser Trend nur auf den Unterhaltungswert der Lektüre zurückzuführen? Oder schwingt da eine Untergangseuphorie mit? Neugierde auf die Zukunft? Eine Lust auf die Abgründe, die sich auftun? Vielleicht auch eine Prise Erleichterung über unsere Welt, die im Vergleich doch recht kuschelig wirkt?
Es bleibt zu hoffen, dass die Huxleys, Orwells und Collins dieser Welt nicht Recht behalten. Und wenn die Uhren doch einmal 13 schlagen, um den berühmten ersten Satz aus 1984 zu zitieren, hilft nur noch eines: May the odds be ever in your favor!
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