Gastbeitrag von Nora Teuma
In den letzten Tagen und Wochen redete die Welt über Rassismus und so auch Deutschland. In Folge des Mords an George Floyd entflammte auch hier eine Debatte über das R-Wort. Auch wenn ich in den vergangenen Wochen keine Expertin zum Thema geworden bin, habe ich doch viel über das Schwarz-sein und das Deutsch-sein nachgedacht.
Wenn ich an Rassismus in Deutschland denke, geht es für mich dabei um Fragen der Zugehörigkeit beziehungsweise der Ausgrenzung. Es geht um die Frage, wer Forderungen an die deutsche Politik stellen darf, und wer sich als Außenstehende, als Gast oder als Geduldete*r zu verstehen hat.
In den letzten Wochen hat sich dabei das Blatt, zumindest für den Moment, gewendet. Schwarze Menschen, sonst kaum sichtbar in der deutschen Öffentlichkeit, hatten die Möglichkeit über ihre Anliegen zu sprechen. Während zum Beispiel rassistische Übergriffe zuletzt zugenommen haben, wird dabei die Ethnie der Betroffenen nicht erfasst. Diese Datenlücke gibt es nicht nur in Polizeistatistiken, auch sonst ist wenig über Rassismus, der sich gegen Schwarze Menschen richtet, bekannt. Dieses Jahr beginnt das Projekt „Afrozensus“ des Each One Teach One e.V Daten zur Lebensrealität „Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen“ in Deutschland zu erheben, um die vielen Facetten von strukturellem Rassismus überhaupt erst sichtbar zu machen. Dabei soll ein Überblick darüber entstehen, von welchen Problemen Schwarze Menschen in Deutschland überproportional betroffen sind und welche Diskriminierungserfahrungen sie regelmäßig machen müssen. Nur so kann die Politik, und wir als Gesellschaft, darauf hinarbeiten, diese zu beseitigen. Denn auch wenn es gut ist und gut tut, manche Erlebnisse in Momenten wie Demonstrationen zu teilen, kann es nicht das Ziel sein, dass auch langfristig Schwarze Menschen wieder und wieder an die Öffentlichkeit treten müssen, um von persönlichen und teils schmerzvollen Erlebnissen zu erzählen. Vielmehr müssen wir als Gesellschaft lernen, darin Teile eines größeren, strukturellen Problems zu erkennen und aktiv daran zu arbeiten, politische Strukturen aufzubauen, die mehr Gleichberechtigung schaffen.
Eine Dimension des strukturellen Rassismus ist die politische. Genauso sind aber die Strukturen, in denen wir denken von rassistischen Bildern geprägt, die unseren Umgang mit Schwarzen Menschen prägen. Wenn Menschen mit Afros wieder und wieder in ihre Haare gefasst wird, haben wir wahrscheinlich nicht einfach alle Pech einzelne, unglaublich neugierige Menschen zu treffen. Vielmehr verbirgt sich dahinter das Selbstverständnis Weißer Menschen Schwarze Menschen erst einmal genau begutachten zu müssen, bevor sie den Menschen hinter der dunklen Haut und den wilden Haaren sehen – und dabei notfalls deren Privatsphäre zu missachten. Auch hinter der Frage nach der Herkunft sehe ich eine ähnliche Motivation. Ich bin im Pott geboren, und nach zwei anderen Stationen in Deutschland hat es mich schließlich nach Bayreuth verschlagen. Spannender wird es nicht. Doch mit dieser Antwort wird sich kaum jemand, von dem ich gefragt werde, wo ich denn herkomme, zufriedengeben. Erst recht nicht die beiden Gäste in einem Bayreuther Restaurant, in dem ich gearbeitet habe, die mich dafür extra an ihren Tisch bestellt haben. Auch das eines meiner Elternteile aus Osteuropa kommt, war für kaum jemanden weiter von Interesse. Waren meine Gesprächspartner*innen einfach vertrauter mit einem unserer Nachbarländer als mit einem „exotischen“ Land in Afrika? Mag sein. Oder ging es ihnen doch eher darum, zu verstehen warum ich nicht aussehe wie sie? Das halte ich für wahrscheinlicher. So klingt für mich die Frage nach der Herkunft mehr nach der Frage „Warum bist du Schwarz?“. Was nicht heißt, dass niemand sie stellen darf. Im Gegenteil, ich für meinen Teil rede gerne über Familiengeschichten, über Identitäten oder kulturelle Eigenarten. Nur kommt es mir oft vor, als wäre mein Gegenüber eher an einer Auskunft als an einem wirklichen Gespräch interessiert. Und manchmal, da habe ich schlicht keine Lust diese Auskunft zu geben und wenn meine Antwort ist, dass ich aus dem Pott komme, sollte das als Grund reichen, die Diskussion über meinen „Migrationshintergrund“ zu vertagen.
Manch einer mag das als „Luxusprobleme“ abtun, und sicher gibt es viele Menschen, für die rassistische Strukturen weitaus existenziellere Probleme schaffen. Rassismus äußert sich keineswegs immer gleich – verschiedene Menschen mit verschiedenen Biografien, Hintergründen und Selbstwahrnehmungen machen verschiedenen Erfahrungen und nehmen diese auch anders wahr. Ich werde anders von Rassismus sprechen als Menschen mit Migrationserfahrung, mit zwei Schwarzen Elternteilen, oder Schwarzen Männer. Gemein haben wir dennoch, dass wir in Deutschland oft als „die anderen“ wahrgenommen werden, und hier liegt der Kern des Problems. Wir sind noch weit davon entfernt, dass sich Deutschland selbst als vielfältige Gesellschaft wahrnimmt und wir selbstverständlich als Teil dieser Gesellschaft wahrgenommen werden. Vorschnelle Rückschlüsse auf unsere vermeintliche Herkunft sind keine Seltenheit, genauso wie Kommentare über unsere Deutsch-Kenntnisse oder Anekdoten aus unseren mutmaßlichen Herkunftsländern und -kulturen. Auch wenn eine Frage hier oder ein Kommentar dort harmlos erscheinen mag, vermitteln sie doch das Gefühl, die eigene Identität begründet erklären und Zugehörigkeit verteidigen oder einschränken zu müssen. Gepaart mit einer Handvoll unschöner Vorurteile ist man so als Schwarze Person schnell „fremd“, „verdächtig“ oder gar eine „Bedrohung“. An dieser Stelle spielen auch geschlechtsspezifische Unterschiede eine große Rolle, so sind beispielsweise Männer eher von „Racial Profiling“ oder Polizeigewalt stärker betroffen, Schwarze Frauen hingegen werden stark sexualisiert oder am Arbeitsmarkt gleich doppelt diskriminiert.
Unter dem Hastag #meTwo sammelten sich 2018 auf Twitter solche und ähnliche Geschichten aus dem Leben von Menschen mit Migrationsgeschichte. Ali Can, der diese Bewegung startete, beobachtete damals aber auch, dass sich primär Menschen mit einem höheren Bildungsgrad, guten Deutschkenntnissen sowie wenig von Armut betroffene Menschen in dieser Debatte zu Wort meldeten. Im Gespräch mit seinen eigenen Eltern (die nach Deutschland eingewandert sind) oder Geflüchteten bemerkte er, dass deren Beziehung zu Deutschland stark von Abhängigkeit und Dankbarkeit geprägt war. Sie sahen sich kaum als Teil dieses Landes, an das auch sie Forderungen stellen dürfen. Erst nach genauerem Nachfragen konnten sie sich in Situationen, in denen sie Rassismus erfahren haben, wiederfinden. Doch gerade sie sind es, die von Diskriminierung auf dem Job- oder Arbeitsmarkt, bei Polizeikontrollen oder im Gesundheitssystem betroffen sind, und sich aufgrund von mangelnder Vertrautheit mit der deutschen Bürokratie oder mangelnden Sprachkenntnissen schwieriger zur Wehr setzen können. Aus Deutschland sind sie nicht mehr wegzudenken und so sollten wir uns solidarisch zeigen, zuhören und der Unsichtbarkeit ihrer Lebensrealitäten aktiv entgegenwirken.
Nun ist aber das lange undenkbare passiert: Wir reden über strukturellen Rassismus. In Deutschland. Für mich, und ich denke viele andere Schwarze Menschen waren die Proteste ein ganz besonderer Moment. Es war das vielleicht erste Mal, dass ich in Bayreuth nicht Teil einer Minderheit war. Und nicht nur hier, überall in Deutschland haben Schwarze Menschen von Kleinigkeiten und Großigkeiten geredet und damit vielen aus der Seele gesprochen und ihnen – uns – wurde zugehört.
Längerfristig denke ich, dass ein großer Gewinn für Schwarze Deutsche die Vernetzung untereinander sein wird. Online und offline haben sich Menschen gefunden, die sich auch weiterhin austauschen, gemeinsam auftreten und sich politisch engagieren können. Aber auch jede*r einzelne Schwarze sowie Weiße Mensch hat nach dem öffentlichkeitswirksamen Diskurs nun ein Bild davon, worin sich rassistische Strukturen äußern. In Zukunft wird es so hoffentlich ein wenig einfacher, Rassismus nicht bloß als persönliches Problem mit einzelnen Leuten von recht-außen zu verstehen, sondern solche Erfahrungen in einen größeren Kontext einordnen zu können und sich nicht alleine zu wissen.
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