Gastbeitrag von Jeannot Ekobe
Für viele Menschen ist die Vorstellung, dass wir nicht die gleiche Realität leben, unverständlich. Nach dem offiziellen Ende offen rassistischer Regime (Sklaverei, Kolonisierung, Apartheid, Segregation) sind manche der Meinung, Rassismus gehöre nun der Vergangenheit an. Insbesondere im Falle Deutschlands gibt es die Tendenz, die soziale Realität des Rassismus zu leugnen. In den meisten Fällen beschränke sich Rassismus auf brutale Handlungen, andere rassistische Beleidigungen und Angriffe und beträfe nur offen nationalsozialistische und fremdenfeindliche Gruppen. Die „gutbürgerliche Gesellschaft“ hingegen sei frei von Rassismus, blind für die Hautfarbe und lebe in einer Art glücklichem Multikulti.
Schwarze und PoC erleben hingegen neben dem frontalen Rassismus, der sich täglich am Eingang von Diskos, bei Polizeikontrollen, durch Plakate und durch die Aussagen bestimmter politischer Parteien usw. manifestiert, die meisten rassistischen Erfahrungen tatsächlich innerhalb der „gutbürgerlichen Gesellschaft“ gemacht.
Es ist vielleicht wichtig, die Tatsache zu unterstreichen, dass Rassismus eine Frage der symbolischen und praktischen Hierarchisierung ist. Es ist eine Aufteilung der Macht auf der Basis des Aussehens, was Stuart Hall in Anlehnung an W.E.B. Du Bois den Phänotyp nennt. Dabei geht Rassismus weit über frontale Aggressionen hinaus und ist eine Frage der Sozialisierung.
Ob es den Mitgliedern der „gutbürgerlichen Gesellschaft“ gefällt oder nicht, die hierarchischen symbolischen Bedeutungen, die den verschiedenen Phänotypen zugeschrieben werden, bestehen nach wie vor. Weißsein bleibt für viele das Ideal des Menschlichen, egal ob bewusst oder unbewusst. Es ist das Synonym für alles, was wertvoll ist. Schwarzsein ist sein Gegenteil. Es hat die symbolische Bedeutung bzw. ist die Metonymie des Primitiven, des Nichtmodernen, des Ungebildeten, des Hässlichen, des Anormalen, des Schmutzigen, des Bösen, des Bedürftigen, des am wenigsten Intelligenten usw. Diese Hierarchisierung zwischen den verschiedenen Phänotypen wird täglich von Schulen, Universitäten und anderen Institutionen wie den Medien, der Polizei und der Politik produziert und reproduziert.
Die Menschen, denen wir in der „gutbürgerlichen Gesellschaft“ begegnen, sind also Menschen, die mit Rassismus sozialisiert wurden. Hier gibt es einen hinterhältigen, subtilen Rassismus, der auf der symbolischen Bedeutung und der Hierarchisierung von Phänotypen beruht. Trotz der Erklärungen über die Nichtberücksichtigung der Hautfarbe bleibt sie eine der Hauptkategorien, die soziale Beziehungen strukturieren.
Wie viele weiße Menschen haben niemals das Gefühl gehabt, dass sie etwas Besseres seien und besseres verdienen als Schwarze oder PoC? Wie viele haben bereits über das symbolische und praktische Privileg nachgedacht, das mit ihrer Hautfarbe verbunden ist? Wie viele finden selbstverständlich, alle Privilegien zu haben, die mit ihrer Hautfarbe (und Nationalität) einhergehen und auf Kosten anderer generiert werden?
Diejenigen, die Schwarzen oder PoC Wohnungen verweigern, sie daran hindern, Arbeit zu finden, sie als Sexobjekte behandeln, ihre Erfahrungen disqualifizieren, ihr Wissen auf bloße Trivialitäten reduzieren, sich schämen, sie als Geliebte zu nehmen und in ihren Freundeskreis aufzunehmen, dubiose Witze erzählen und ihre Verachtung für Schwarze und PoC in privaten Kreisen loslassen etc., gehören alle zur „gutbürgerlichen Gesellschaft“ und bezeichnen sich selbst als nicht rassistisch.
Schwarze Deutsche und Schwarze Menschen in Deutschland erleben diesen versteckten und subtilen Rassismus täglich in der Schule, am Arbeitsplatz, auf der Straße, mit ‚FreundInnen‘, mit LebenspartnerInnen usw. Es ist ein Rassismus, der zwar schwer zu benennen ist, aber emotionale, psychologische und physische Folgen für die Betroffenen hat.
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