Frühlingsgefühle im Atomkriegsbunker

Unter Donald Trump lagen die diplomatischen Anstrengungen, eine Atommacht Iran zu verhindern, auf Eis. Kommt jetzt der Neuanfang?

Im Frühling erwacht Wien zum Leben: Die Aprilsonne scheint durch die Fenster der Hofburg, Anwohner spazieren durch den Volksgarten  — und im Grand Hotel sitzen DiplomatInnen und versuchen, einem totgeglaubten Vertrag neues Leben einzuhauchen.

Aber fangen wir vorne an: Sechs Jahre und 10 Gehminuten vom Grand Hotel entfernt versammelten sich im Juli 2015 sieben Außenminister, um endlich eine Antwort auf ein Problem zu geben, das die Weltpolitik seit Jahren in Atem hielt: Das Atomprogramm des Iran. Das Ergebnis dieser Verhandlungen war ein Vertrag, durch den die Möglichkeiten des Iran, eine Atomwaffe zu bauen, erheblich eingeschränkt wurden. Doch der Erfolg war von kurzer Dauer: Donald Trump gewann die Präsidentschaftswahlen und die USA verließen das Atomabkommen. Jetzt, mit einer neuen Administration im Weißen Haus, soll die Diplomatie eine zweite Chance erhalten. 

Aber was ist das für ein Vertrag, den wir da retten wollen? Warum brauchen wir ihn? Und wovon hängt ab, ob er eine Zukunft hat?

Das Streichholz im Pulverfass

Die Angst, dass der Iran sich Atomwaffen verschaffen könnte, ist nicht neu: Schon in den 1970ern äußerten die USA diesen Verdacht — nachdem sie ironischerweise nur zwanzig Jahre zuvor selbst die ersten Reaktoren an das Land geliefert hatten. Die Hinweise darauf, dass die islamische Republik ihr Atomprogramm nicht nur zu friedlichen Zwecken verfolgte, verdichteten sich in den darauf folgenden Jahrzehnten. Die Welt war zurecht besorgt: Irans Erzrivale Saudi-Arabien hatte angekündigt, dass sie nicht zögern würden, selbst Atomwaffen herzustellen und Israel (selbst eine Atommacht) drohte mit Präventivschlägen gegen den Iran. Die Zeichen standen auf einen Rüstungswettlauf, auf eine Explosion des Pulverfasses Naher Osten— auf Krieg. 

Die Kunst des Machbaren

Eine Lösung musste her: US-Präsident Obama drängte auf strenge Sanktionen gegen den Iran. Sie sollte die Republik an den Verhandlungstisch zwingen. Nach zahlreichen informellen Gesprächen, offiziellen Verhandlungen in Lausanne und einer finalen, zwölftägigen Marathonsitzung war es geschafft: der Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) war geboren. 

Das Abkommen begrenzt das Ausmaß, zu dem der Iran Uran anreichern kann. So soll sichergestellt werden, dass der Iran auch nach einem Scheitern des Vertrages mindestens ein Jahr brauchen würde, um eine Atomwaffe herzustellen. Im Gegenzug verpflichten sich die anderen Vertragsparteien, Sanktionen gegen den Iran aufzuheben.

Mission accomplished? Nicht ganz. Der JCPOA steht seit seiner Entstehung unter Dauerkritik, weil Teile des Vertrags nur zehn Jahre lang gültig sind; weil er keine Antwort auf das sonstige aggressive Verhalten des Iran gebe; weil der Iran einen wirtschaftlichen Boom erfahren werde und im Gegenzug sein Atomprogramm nur für ein paar Jahre hintenan stelle.

So berechtigt manche dieser Einwände sein mögen, so klar ist auch, dass ein besserer Vertrag auf die Schnelle nicht zu machen war. Der Iran wäre ohne das Atomabkommen nur wenige Monate von der Fertigstellung einer Atombombe entfernt. Das hätte die Weltgemeinschaft nicht akzeptieren können; Krieg wäre nur eine Frage der Zeit gewesen. 

Diplomatische Eiszeit

Mit dem neuen Präsidenten Trump kam eine neue, alte Weltsicht ins Weiße Haus: Weniger Zusammenarbeit, weniger Diplomatie, mehr planlose Konfrontation. Obwohl die Internationale Atombehörde wieder und wieder bestätigte, dass der Iran sich an den JCPOA halte, erklärte Präsident Trump im Mai 2018: Wir sind raus! Die übrigen Vertragsparteien versuchten verzweifelt, den Deal am Leben zu halten, aber der Iran und die USA eskalierten die Situation durch Sanktionen und neue Zentrifugen immer weiter. Das Atomabkommen lag im Sterben — bis es dann doch anders kam.

Freundschaft mit gewissen Vorbehalten

Die Abwahl Donald Trumps brachte nicht nur nachvollziehbare Schadenfreude, sondern auch eine neue Chance für den JCPOA mit sich. Wenige Monate nach seiner Amtseinführung setzte Amtsnachfolger Joe Biden Gespräche in Wien an. (Eine Anekdote am Rande: Amerikanische und iranische Diplomaten weigern sich, sich im selben Hotel aufzuhalten. Deshalb müssen Nachrichten in einer Art diplomatischen Flüsterpost über die Straße gebracht und der amerikanischen Delegation weitergegeben werden.)

Trotz aller Hindernisse haben beide Seiten erklärt, dass sie zum Atomabkommen zurückkehren möchten — aber wo ist denn dann das Problem?

Zunächst sind sich die Seiten nicht einig, was eine Rückkehr zum JCPOA bedeutet: Der Iran besteht darauf, dass alle amerikanischen Sanktionen, die während Donald Trumps Präsidentschaft auferlegt wurden, wegfallen; die USA hingegen berufen sich darauf, dass einige dieser Sanktionen gar keine Reaktion auf das Atomprogramm des Iran waren, sondern vielmehr auf die Unterstützung des Iran für Terrorgruppen abzielten. Deshalb müssten sie auch nicht aufgehoben werden. Und überhaupt ist man sich einig: Bevor wir irgendwas machen, ist jetzt erstmal der jeweils Andere mit Zugeständnissen dran.

Vor allem stehen aber beide Seiten innenpolitisch unter Druck: In den USA betrachten viele Republikaner den JCPOA als Kapitulation vor einem radikalen Regime und im Iran muss der unbeliebte Präsident Rouhani seine Politik verteidigen, obwohl im Juni Präsidentschaftswahlen anstehen, bei denen die Zeichen auf einen Sieg der deutlich unkooperativeren Hardliner steht.

Klar ist aber auch, dass beide Seiten ein Interesse an einer Lösung haben: Der Iran hat durch internationale Sanktionen schweren wirtschaftlichen Schaden genommen und erst das Atomabkommens bot eine Chance auf Heilung. Neue Sanktionen und eine erneute Krise sind das Letzte, was ein Regime in ständiger Angst vor einer Revolution gebrauchen kann. Und die Amerikaner? Die haben gerade ihren Abzug aus Afghanistan angekündigt und werden sich hüten, einen neuen Konflikt im Nahen Osten heraufzubeschwören. Beide Seiten haben viel zu gewinnen und wo Gewinne winken, da gibt es eine Chance auf Kompromisse. 

Ein bisschen Frühling

Noch ist unklar, ob das Atomabkommen eine Zukunft hat. So oder so bietet der Blick in den Nahen Osten keinen Anlass zur Entspannung: Der Konflikt zwischen dem Iran und seinen Widersachern bietet reichlich Konfliktpotential. Aber dass überhaupt wieder miteinander geredet wird, dass eine neue Chance für den JCPOA überhaupt denkbar ist, zeigt, dass man hoffen darf: Auf ein Wiederaufblühen der Diplomatie nach dem langen Winter der Trump-Jahre.

David Schwarz
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