Ein neues Jahr, ein neuer Kalender

Wie ein paar Seiten Papier Ordnung in mein chaotisches Leben bringen

Von Maja Schoplocher

Ich weiß nicht, wie es bei Euch aussieht, aber ich bin kein sonderlich ordentlicher Mensch. Mein großer Bruder behauptet immer, wenn man in mein Zimmer zuhause eine Granate hineinwirft, dann ist es aufgeräumter als vorher. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass er einfach sehr minimalistisch ist. Ein Zimmer voller Krimskrams und gesammelter Erinnerungen ist er nicht gewohnt. Bei mir hingegen liegen in den Regalen Muscheln vom Urlaub 2014 oder eine Keksdose aus England. Kein Fleck meiner Wand ist frei, überall hängen Bilder, Sprüche, Postkarten, die erzählen, wer ich bin. Meine beste Freundin neigt zu erwähnen, dass das Zimmer einfach ein Spiegel meiner Persönlichkeit ist. Ein bisschen verrückt, chaotisch, farbenfroh.

Auf meinem Boden kommt es oft vor, dass Bücher herumliegen, weil alle Regale voll sind oder ich sie gerade lese. Oder mich nicht entscheiden kann, welches davon ich lesen sollte. Und wenn ich morgens keine Zeit habe, dann ziehe ich einfach zwei verschiedene Socken an. Ich bin einfach nicht ordentlich.

Doch eine Sache, die mein Leben ordnet und Struktur in das Chaos bringt, ist mein Kalender. Denn ich wohne praktisch an drei verschiedenen Orten und habe durch verschiedene Umzüge Freunde weitläufig verteilt. So kann ich mein Leben koordinieren. Ich schreibe mir auf, wann ich wo bin, was ich noch erledigen muss, welche Geburtstage anstehen, die ich sonst wahrscheinlich alle heillos vergessen würde. Deshalb ist mir ein Planer-Kalender eine große Hilfe.

Zwar bin ich kein allzu großer Fan von Routine und Alltagstrott, aber ich glaube, dass jeder Mensch in irgendeiner Art und Weise seinen „Ordnungsursprung“ braucht, auf dem er sein Leben aufbauen kann. Das mag für manche sein, dass sie jeden Tag ein Rätsel ihres Abreißkalenders lösen oder eine Redewendung auf Portugiesisch lernen. Andere öffnen jeden Morgen ihren digitalen Kalender und schauen nach, was heute ansteht und suchen ihre Materialien dazu heraus. Aber irgendwie hat jeder seine Routine, um das Leben auf die Reihe zu bringen. Um ein bisschen Ordnung in das Chaos zu bringen.

Einzig dieses Coronavirus hat ein paar größere Lücken in meinem eigenen Kalender hinterlassen. Besonders in den ersten Monaten, als das ganze Leben stillstand, inklusive Sport und Musik, ohne Freunde treffen zu dürfen. In dieser Zeit habe ich so gut wie gar nichts in meinen Kalender geschrieben. Denn darin zu vermerken, welchen Film ich heute erfolgreich zu Ende gesehen habe oder welche neue Fahrradstrecke ich entdeckt habe, schien mir dann doch ein wenig übertrieben. Ich behaupte, dass wohl die Masse der Menschen eine klaffende Lücke in ihren Kalendern des Jahres 2020 und 2021 vorfindet. Schließlich waren anfangs Online-Meetings in der Schule noch nicht so „trendy“ und relativ unbekannt.

Auch wenn ich immer noch ein bisschen das Gefühl habe, wenn ich heute eine Zoom-Besprechung in meinen Kalender schreibe, dass das kein richtiger Termin ist. Denn ich muss nirgendwohin, muss nicht überlegen, wie ich mich zurecht mache oder wann ich losfahren muss. Trotzdem trage ich sie konsequent ein, aus Angst sie zu vergessen. Es kann sein, dass mir das schon passiert ist. Aber das ist eine andere Geschichte.

Das Einzige, wogegen ich mich zum Trotz meines Freundes vehement weigere, ist eine Einkaufsliste. Als junger Mensch sollte man sich doch ein paar Zutaten merken können, oder nicht? Naja, es endet auf jeden Fall meist damit, dass ich irgendwas vergesse. Mit Glück fällt es mir am Parkplatz ein und ich spurte zurück, ansonsten merke ich es mir für nächstes Mal. Aber mein Opa sagt immer, wenn man es vergisst, dann kann es nicht so wichtig gewesen sein. Funktioniert. Teilweise.

Seitdem ich denken kann, schenkt mein Opa mir einen Monatskalender zusätzlich zu meinem Planer. So einen, den man an die Wand hängen kann. Ein bisschen „Old School“. Wo früher eher Pferdefotos waren, sind nun Buchzitate oder Stadtfotos. Und über die Jahre habe ich meine ganz eigene Tradition entwickelt. Ich nutze die Monatskalender, um all die kleinen und großen Erlebnisse meines Lebens aufzuschreiben.

Mal waren die Monate mehr und mal weniger voll. Das hing auch davon ab, ob ich Ferien hatte oder jeden Tag in die Schule ging. Und manchmal, krame ich die alten heraus und bin wieder im Skikurs in der sechsten Klasse, einem speziellen Sommerurlaub oder einfach nur für ein Wochenende bei Oma und Opa. Dabei wird mir wieder bewusst, wie schnell diese Zeit im Nachhinein doch vergeht. 

Die ersten Seiten eines neuen Jahres im Kalender sind besonders. Denn dann fühlt sich wieder alles so lebendig an. Ich betrachte viele Gewohnheiten mit anderen Augen, hinterfrage mehr. In diesem Anfang habe ich keinen Alltagstrott, sondern einen anderen Blickwinkel. Vielleicht ist ein kalter, nasser Januar nicht der beste Monat für neue Unternehmungen. So mag es ein wenig verrückt klingen, aber alles fühlt sich neu an. Selbst wenn es alt ist. Schließlich passiert es in einem neuen Jahr und diese Tatsache allein reicht, es zu etwas Besonderem zu machen. Deshalb habe ich eigentlich nie einen Vorsatz oder einen Plan. Es ist ein automatischer Ablauf, der mich am Anfang des Jahres dazu bringt, neue Gewohnheiten zu finden oder alte zu hinterfragen. 

So bin ich in dieses neue Jahr mit einem neuen Kalender gestartet, der darauf wartet, mit großen und kleinen Erinnerungen gefüllt zu werden. Der ein bisschen Ordnung in mein chaotisches Leben bringt und mich dann in ein paar Jahren an all die Glücksmomente zurückerinnern wird. Und vielleicht sogar eines Tages einen Einkaufszettel beinhaltet… 

Maja Schoplocher
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