Wagnerstadt

Von Oscar Franke

Der Falter und die Uni haben Pause, die Stadt scheint jedoch gespannt auf etwas zu warten/jedoch in gespannter Erwartungshaltung. Wie ein Sommergewitter entlädt sich, was sich durch wochenlange Vorbereitungen angebahnt hat. Die ganze Stadt fiebert geradezu auf diese paar Sommertage hin, wenn Herr- und Damenschaften in Frack und Abendkleid ganz unwürdig im Bordstein-Biergarten an der breiten Bahnhofsstraße sitzen, und alljährlich sogar Merkel uns mit ihrem Besuch ehrt. Was bewegt die Eliten dieses Landes und viele internationale Gäste an diesen Ort ohne ICE-Anbindung, in, wenn auch ganz angenehmer, nicht atemberaubender Natur? fast sakrale Stimmung baut sich auf, während die Wagner-Fans auf den Festspielhügel strömen. Der Aufstieg gleicht einer Pilgerfahrt: Aus dem Taxi oder der Limousine raus, den feinen Stoff noch richten. Die vielen wagnerischen Bräuche wie das vererbte Amt der Festspielleitung geben dem ganzen Akt um Wagners Werk einen spirituellen, ein wenig aus der Zeit gefallenen Geschmack. Kaum ein anderer Künstler erfährt dieses quasireligiöse Maß an Verehrung – und kaum eine Stadt widmet einen solchen Anteil der nun mal begrenzten Aufmerk- samkeit einem Mann, der sie, nach Bitten und Flehen des Königs für neun Jahre seines langen Lebens bewohnte. Der Wagnerkult ist also integraler Bestandteil dieser Stadt, ihres Selbst- und Fremdverständnisses, ihrer kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung.

Viele Städte haben mindestens einen kulturellen Patron, der auch als Wahrzeichen nach außen strahlt. In Bayreuth ist es eben Wagner, über den so oft hinter ironisch vorgehaltener Hand gesagt wird: „der war ja Antisemit!“. Damit hat man dann kritisiert, kontextualisiert, hinreichend hinterfragt. Aber die eigentliche Schwierigkeit mit der wagnerischen Omnipräsenz und der ihm entgegengebrachten Ver- ehrung liegt nicht in den persönlichen Ansichten des Künstlers. Menschenfeinde aller Arten gibt es bis heute, und auch schlechte Men- schen können gute Kunst schaffen. Auch kulturelle Stadtpaten anderswo waren sicher irgendwie antisemitisch. Selbst ein Besessener wie Wagner, an dessen zuerst verehrten, leider jüdischen Kollegen Meyerbeer sich ein lodernder Judenhass entfachte, den er dringend in schriftlicher Form veröffentlichen zu müssen glaubte (u.A.s. „Das Judenthum in der Musik“; Leipzig: 1869) fällt in der deutschen Kulturgeschichte nicht auf. Paranoide Fantasien über den „parasitären Juden“, der sich am wohlwollenden, naiven deutschen Volk vergeht und sich am volkseigenen Kapital bereichert (vgl. „Was ist deutsch?“; Bayreuth: 1878), trafen zu seiner Zeit auf fruchtbaren Boden. Dementsprechend ist diese Perspektive auf Wagner, wenn auch nicht irrelevant, zur effektiven Kritik nicht umfassend genug. Von seinen Schaffenden kann man ein Werk im Einzelfall trennen, nicht aber von der Rolle, die es im gesamtkulturellen Kontext spielt. Wenn man den Walkürenritt hört, denkt man ja gemeinhin nicht an Wagner und seine persönlichen Überzeugungen, sondern hat Ge- fühle, die das Werk betreffen. Deswegen muss dieses selbst hinterfragt werden, um wirklich kritisieren zu können. Beobachtet man nur seine bleibende Bedeutung ist Wagner der größte Komponist und Dramatiker der deutschen Geschichte. Auch aus dem Ausland wird er als DER deutsche Komponist, sein Werk als DAS deutsche Kulturgut schlechthin gewertet. „Wer das nationalsozialistische Deutschland verstehen will, muss Wagner kennen.“ Ist diese Äußerung nur ein Auswuchs von Hitlers Irrsinn, in dem er ein ideologisch neutrales Kunstwerk seinen verqueren Vorstellungen unterwirft? Oder ist es auch sein „völkischer“, stolz-deutscher Kern, der Hitler zu Wagners Opus hinzog?

Das Wagnerische Opus zeigt die dramatische Aufarbeitung althergebrachter Heldengeschichten, insofern das episch erzählte mythi- sche Deutschsein. Klare, eindeutige Handlungsstränge, geprägt von Schicksal und Vorhersehung, einer gewissen Hoheit des Todes und archaischen Stammesfehden sind die Werke Wagners. Dass solcher Inhalt von denen verehrt wird, die sich selbst als Zeugen eines „Rassenkampfes“ wahrnehmen und am liebsten zum Zweck eines esoterischen größenwahnsinnigen Ziels wie der Weltherrschaft der eigenen „Rasse“ den Ehrentod sterben wollen, ist wenig verwunderlich. Sicher haben auch die Werke des „Meisters“ ihre Berechtigung, können musikalisch oder dramaturgisch schön gefunden werden, Schönheit in den Augen der Betrachtenden. Aber es stößt sauer auf: dieses Deutschsein, dieses Germanische, in Kunst gefasst von einem, der damit beileibe keine Staatsangehörigkeit, nicht mal die Idee einer Leitkultur meint. Wenn zum Verstehen des NS-Staats Wagner schon nötig war, was heißt das für die Wagnerianer von heute? Wenn man nicht dem Mann huldigt, denn der ist ja – gut erkannt! – Antisemit, was huldigt man dann?

Wagner und die ihn umgebende Gemeinde sind ein Symptom des deutschen Selbstverständnisses, in dem die mystifizierte Selbstdarstel- lung und ihr masturbatorisches Abkulten jeglichen Bezug zu den implizierten Ab- und Ausgrenzungen der deutschen Nationalidentität verlieren darf. Man selbst hat mit diesen und ihren völkermörderischen Konsequenzen nämlich sowieso nichts zu tun. Denn eigentlich waren die eigenen Vorfahren natürlich im Widerstand, oder zumindest keine überzeugten Nazis, wenn nicht in Aktion, so doch immer im Geiste, und an der Ostfront war Opa Werner auch nur, weil er sonst selbst grausam bestraft worden wäre, oder in was für Wahnvorstel- lungen man sich sonst gerne flüchtet. Eins ist sicher: die überwältigende Mehrheit der angereisten Kulturelite legt in ihren aufgeklärten selbstkritischen Großstädten metaphorische Blumen auf goldene Steine. Aber in diesen lauen fränkischen Sommernächten wird man ja wohl noch Deutsch sein dürfen und vielleicht auch ein bisschen stolz darauf; ein paar Tage nicht an Auschwitz denken. Daran ändert auch der Gedenkstein für das Außenlager Bayreuth des KZ Flössenbürg vorm MediaMarkt nichts mehr.

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