Auch FDP wählen muss erlaubt sein

Von Sebastian Kleine Kuhlmann

Wenige Tage nach der Bundestagswahl erschien auf ZEIT Online ein Aufruf an Erstwähler und junge Wähler, die FDP gewählt hatten, ihre Wahlentscheidung zu erklären. Wie konnte es sein, dass die jungen Menschen, die scheinbar alle freitags für das Klima demonstrierten, links-grüne Ideen hatten, dem modernen Kapitalismus eine Absage erteilten – dass diese jungen Menschen zu einem großen Teil die FDP wählten? Die ZEIT wollte es wissen. Damit war sie nicht alleine. Alles was im journalistischen Berlin etwas auf sich hält, versuchte sich dieses unerwartete Ergebnis zu erklären. Von „Die FDP hat als einzige die Bedürfnisse der jungen Menschen während der Pandemie gesehen“ bis „Die FDP ist Digitalisierungspartei“ war alles dabei. Die ZEIT beschloss, einfach mal die zu fragen, die ihr Kreuz bei der FDP machten. Die Kommentare waren enttäuschend.

Nicht etwa, weil die Erklärungen der Jungwähler unbefriedigend waren. Ein ganz anderer Grund verursachte Enttäuschung: Wenn man wenige Tage nach der Wahl in die abgegeben Meinungen schaute, fand man auf den ersten Seiten fast ausschließlich Beiträge, die sich über junge FDP-Wähler empörten. Kommentare, die FDP-Wählern absprachen, informiert zu sein. Kommentare, die FDP-Wählern vorwarfen, sich nicht für Ungleichheit und Klimawandel zu interessieren. Kurzum: Kommentare, die FDP-Wählern und jungen FDP-Wählern insbesondere, vorwarfen, uninformiert, unmündig und unmoralisch gewählt zu haben.

Es scheint für manche Mitbürger unvorstellbar, dass jemand einer anderen Partei als der von ihnen präferierten zutraut, die Probleme unseres Landes zu lösen. Besonders schwer wiegt hier der Vorwurf der Unmündigkeit: Die Fähigkeit eines jeden Bürgers eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen, sich zu informieren und Fakten abzuwägen, ist essentielle Grundannahme einer jeden modernen Demokratie. Wer diese Fähigkeit Andersdenkenden aberkennt ist nicht nur vermessen in der Annahme, er alleine habe die Wahrheit erkannt, er verliert auch etwas: Die Fähigkeit zum Dialog; die Fähigkeit das bessere Argument anzuerkennen; die Fähigkeit die eigene Unzulänglichkeit zuzugeben; aber vor allem auch die Fähigkeit den anderen von den eigenen Überzeugungen zu überzeugen. Wer hört schon gerne jemandem zu, der einem im ersten Atemzug vorwirft unmoralisch und unreflektiert zu sein, im zweiten aber um die jeweilige Stimme wirbt?

So etwas ist gefährlich für eine Demokratie. Wer Menschen auf Grund einer Wahlentscheidung, die nicht der eigenen Vorstellung entspricht, vorwirft unmoralisch zu sein oder uninformiert gewählt zu haben, verschließt sich nicht nur dem Dialog, er verhärtet auch die Fronten im politischen Diskurs. Demokratie lebt aber von Verständnis füreinander und Verständigung miteinander. Verständnis braucht es, damit es Verständigung geben kann. Und ohne Verständigung kein Fortschritt, nur Stillstand.

Es muss uns nicht gefallen, wer zur Wahl antritt. Es muss uns auch nicht gefallen, wie unser Nachbar, unsere Tante oder unsere Freunde gewählt haben. Eines muss aber immer gelten: Einen respektvollen Umgang haben alle Menschen verdient. Dazu gehört auch anzuerkennen, dass man nicht automatisch dumm/ein schlechter Mensch/egoistisch ist, nur weil man einer bestimmten Meinung ist. Dazu gehört auch und gerade dann das Gespräch zu suchen, wenn die Meinung des Gegenübers der eigenen konträr gegenübersteht – in den allermeisten Fällen lassen sich selbst dann Gemeinsamkeiten finden. Dazu gehört, zu versuchen zu verstehen, wieso der Gegenüber seine Meinung vertritt. Die ZEIT hat das versucht, was für eine Demokratie so wichtig ist: Verstehen, was der Gegenüber denkt und wieso. Es ist schade, dass viele kommentiert haben, die vor allem die eigene Unzufriedenheit mit dem Wahlergebnis loswerden wollten. Dafür gab es andere Möglichkeiten in ausreichender Zahl.Sie haben so vielleicht eine Chance des Austausches verhindert. Lernen kann man daraus trotzdem etwas: Ohne Verständnis und Verständigung fällt es schwer, die beste Lösung zu finden. Und dafür ist die Demokratie schließlich da.

Sebastian Kleine Kuhlmann
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