PAS (EN) WOKE: Affenhaus

Der Bürgerschreck Berti Brecht sagte 1928, „der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein“. Wie recht der von mir nicht sonderlich geschätzte Politproll und Antibourgeois mit diesen Worten hat, zeigt sich in immer größerem Maße daran, dass Sport in der heutigen Zeit nicht mehr groß ist, sondern lächerlich und verspießt. Heute macht jeder Sport oder behauptet das zumindest. Was die meisten tatsächlich machen, ist körperliche Optimierung zum Erhalt ihrer ohnehin meist langweiligen bis abstoßenden Leiber. Funktionserhalt ist Imperativ der massenhaft aus dem Boden gesprossenen Fitnessklubs, in denen sich die Mittelklassespießer Seit‘ an Seit‘ ihre mickrigen Faszien zerreißen und die mittelalterlichen Foltergeräten ähnelnden Einrichtungen mit ihrem Zwiebelschweiß benetzen. Als ich sechzehn war, da packte mich ein für mich heute nicht mehr nachvollziehbares Verlangen, selbst Mitglied in einer dieser Selbsterhaltungseinrichtungen zu werden. All jene, mit denen der Umgang damals ein Prädikat war, die schon einen kräftigen Bartwuchs hatten und deren Brustmuskulatur ihr Shirt auf imposante Art und Weise anhob, waren Mitglied in so einer Anstalt. Ich wiederum war liederlicher Hockeyspieler und meine Hühnerbrust passte ganz vornehm in die gestreiften Hemdchen, die ich noch nicht einmal selbst bügeln konnte. Nun ja, jedenfalls wollte ich auch Mitglied werden und beackerte meine Eltern auf das Intensivste, bis sie so sehr genervt waren, dass sie mich anmeldeten. Also vereinbarte ich einen Termin zur Erstellung eines Trainingsplans bei Marvin, dem hauseigenen breitgebauten und sonnenbankgebräunten Fitnessplanersteller. Wahrnehmen konnte ich diesen Termin erst nach dem dritten Mal – irgendetwas in mir sträubte sich gewaltigst, in diesen Muskeltempel einzutreten. Vermutlich war es die Vorstellung, von Hartgesottenen dabei beobachtet zu werden, wie ich an den Fünfkilohanteln kläglich scheitern würde. Als ich dann auf energisches Einwirken seitens meiner Eltern, mich endlich dazu durchrang, einen Fuß und dann auch den ganzen Körper über die Schwelle des Glücks zu bugsieren, war ich ganz überrascht von der positiven, emsigen Atmosphäre, welche mich jenseits der großen Glastüren in Empfang nahm. Marvin erklärte mir freundlichst, dass Scham völlig unangebracht wäre. Jeder müsse nun einmal anfangen und in nur einem halben Jahr würden auch meine Brustmuskeln mein noch zu erwerbendes Shirt in imposanter Manier anheben. Ich war hin und weg und gänzlich begeistert und schwor mir, mindestens dreimal in der Woche wieder zu kommen. Dann allerdings, auf dem Weg hinaus aus dem Tempel meiner neuen Religion, überkamen mich Zweifel. Was, überlegte ich, mache ich hier eigentlich? Zusammengepfercht mit einer Vielzahl verschiedentlich dummer, jedoch einheitlich optimierungswütiger, Proteinshakes trinkender Vollidioten? Das kann es nicht sein, sagte ich mir und setzte nie wieder einen Fuß oder dergleichen in solch ein Affenhaus.

Fitnessstudios sind Sinnbild einer unangenehmen Aufklärung des Sports. Durch sie wurde nicht nur das Verhältnis zum eigenen Körper rationalisiert, sondern sukzessive der Spaß an der Ertüchtigung wegprotestantisiert. Statt römisch-katholischem Prunk und Freude sind Maß und Zweckerreichung oberstes Gebot der ehemaligen Freizeitbeschäftigung geworden. Hierzu gehört weiterhin eine asketische und optimal angepasste Diät, welche dann in einem Übereifer beachtet wird, den sich selbst die striktesten Klosterbrüder Amelungsborns nicht erträumen könnten.

Neben der voranschreitenden Vergrämung des Spaßes im privaten Sport zieht in den öffentlichen eine neue Eigenschaft und Unart ein, welche dort so wenig zu suchen hat wie ein zivilisierter Mensch im Fitnessstudio: die Moral. Der öffentliche Spitzensport war die längste Zeit seines Bestehens geprägt von außergewöhnlichen Leistungen und Überschreitungen der bisher angenommenen körperlichen Grenzen. Ganz nebenbei waren zumindest im Motorsport und ebenso dem Fußball eindrucksvolle Charaktere sowohl als direkte Teilnehmer als auch im Management zu finden. Heute herrscht in diesem Umfeld ein Personenkult ohne Persönlichkeiten (mit Ausnahme von Hoeneß, Blatter und Ecclestone, wobei letzterer mit seinem kleinen Faschismusproblem vielleicht auch kein angenehmer, doch aber interessanter Zeitgenosse ist). Hedonistische Zeitgenossen wie Diego Maradona oder James Hunt sucht man heutzutage vergeblich. Stattdessen findet man zuhauf lächerlich weichgespülte laufende Litfaßsäulen, die sich vor dem Spiel oder Rennen noch einmal ausführlich und dümmlich angepasst über die großen Probleme dieser Welt äußern. Gipfel dieser Idiotie ist der nun von so manchem Fußballer hervorgebrachte Widerwille, in Katar zur Weltmeisterschaft zu erscheinen und wenn doch, dann bitteschön nur in schwarzem Trauerflor (was die FIFA glücklicherweise untersagte). Der Vorwurf an die FIFA, sie sei korrupt und ließe sich von Unrechtsregimen zur Imagepolitur missbrauchen, kann getrost als augenscheinliche Geistesschwäche abgetan werden. Was soll sich denn ein privater schweizerischer Verein darum scheren, was die ach so aufgewachten dieser Welt von ihm halten? Die Weltmeisterschaft in Katar macht es auch den eigentlich nicht so aufgewachten auf angenehme Art leicht, einmal in ihrem Leben gegen das Böse und für das Gute zu sein, ohne sich für eine Meinung über das für sie erträgliche hinaus informieren zu müssen. Dass man gegen dieses Turnier zu sein hat, lässt sich sogar der BILD-Sport entnehmen. Wenn das Turnier dann endlich einmal vorüber ist, kann man getrost wieder in den Urlaub nach Dubai fliegen und muss sich nicht weiterhin mit solchen ethischen Quälereien auseinandersetzen.

Lukas Sperling
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